Ein Ohrenschmaus

gitarre

Die Tage ist es drei Jahre her, dass ich mich entschloss, mich operieren zu lassen und den ersten Termin mit der Charité vereinbarte. Der Rest ist Geschichte, aber die Geschichte nimmt und nimmt kein Ende. Am vorvergangenen Wochenende war ich in der Philharmonie. Das erste mal seit 1989.

Auf Popkonzerten war ich schon öfters. Das ging auch mit Hörgeräten noch ganz gut. Zwar geht jede Dynanmik flöten, wenn man* an Taubheit grenzend schwerhörig ist und bei extremer Verstärkung durch die Geräte das leisest mögliche Geräusch sehr dicht an das lautest mögliche rückt; aber es geht irgendwie, um die Musik wenigstens entfernt genießen zu können. Auch wenn es Krach und Matsche ist, haben Krach und Matsche wenigstens Beat. Dass es mit Cochlea-Implantat viel besser geht, konnte ich schon vor einiger Zeit live bei Knorkator und besonders bei Gogol Bordello merken, wenn ich plötzlich aus dem lauten Riff die elektrische Geige heraushöre.

Das ist aber alles nichts gegen die Philharmonie. Klassik war für mich spätestens ab etwa 1990 ein einziger Brei, aus dem ich kaum Strukturen heraushören könnte. Vor einigen Tagen hörten wir Schumans Szenen zu Goethes Faust. Ok, die sind abgesehen vom dritten Teil recht dröge. Man* sagt, Schumann sei derjenige Komponist, der am wenigsten am Stoff gescheitert sei. Aber das war egal. Ich war schon vom Klang überwältigt, als das Orchester noch die Instrumente stimmte. Ich kann all das wieder hören: Die gezupften Geigen zu rauschenden Chorälen, die dünne Oboe im Teppich der Streicher, die Solisten, die aus dem Chor heraustreten, und mitten im Brausen des Orchesters: Pling! Die Triangel.

Ich wusste von Zuhause, dass ich wieder Klassik hören kann, aber nicht dass ich es so würde hören können. Direkt im Konzertsaal, ohne elektrische Klangquelle, in die ich mich einstöpsele. Mit Feinheiten, an die ich mich nichtmal aus meiner Kindheit erinnern kann (auch wenn es sie gegeben haben muss); und vor allem mit Feinheiten, die – über 20 Jahre lang für mich völlig undenkbar – aus dem großen Ganzen ganzen hervortreten. Ich konnte gar nicht meine Blicke überall hinrichten, von wo ich etwas hörte. Und das ganze klang noch nicht einmal irgendwie künstlich oder elektronisch. Es klang eibfach nur. Ein akustisches Fest.

Übrigens spielte das Orchester ein wenig zu leise, sagte die Liebste. Das ist insofern lustig, dass ich schon nach fünf Minuten einfach mein Gehör etwas lauter gemacht hatte…