Alltagsrassismus: Homeschooling aus Notwehr?

tl;dr: Ein Brief einer schwarzen Mutter in Berlin, die den Alltagsrassismus an der Schule ihrer Kinder nicht mehr erträgt.

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Ich war lange Zeit gegen Homesschooling. Ich war der Auffassung, dass es ganz überwiegend die falschen Kinder trifft, zum Beispiel die Kinder religiös verblendenter Menschen. Genauso wie wir Familien brauchen, um Kinder vor dem Staat zu schützen, brauchen wir den Staat, um Kinder manchmal vor ihrer Familie schützen zu können. Das deutsche Schulsystem sortiert Kinder sowieso schon – wäre Homeschooling da nicht gerade zu pervers? Ist es nicht erstrebenswert, dass Kinder aus ganz verschiedenen Schichten und Elternhäusern gemeinsam lernen, schon um ein wenig über den eigenen Tellerrand zu blicken? Sollten nicht alle Kinder die gleichen Inhalte lernen, welche halbwegs demokratisch staatlicherseits verordnet sind? Würde ich sofort unterschreiben, wenn diese Inhalte nicht ausgerechnet rassistischer Natur sind. Zwar erzählen Freunde, dass es heute in der Lehrerbildung wesentlich besser geworden sei, aber wir wissen ja, wie überaltert unsere Lehrerschaft ist. Tolerieren wir, dass an unseren Schulen geradezu Rassismus gelehrt wird, haben wir dann ein Recht, den Menschen Homeschooling zu verweigern? Davon halte ich immer noch wenig. Die ideale Lösung wäre mehr Pluralität an den Schulen, besonders auch was die Lehrkräfte betrifft.

Wie ich drauf komme? Durch einen Brief, den ich via Facebook erhalten habe (hier z.B. im Original). Vielleicht zu pathetisch, aber er macht mich sehr nachdenklich. Weil ich nach meinen eigenen Erfahrungen mit einigen Lehrern sofort bereit bin, jedes Wort zu glauben.

Liebe Älteste,

ihr wisst vielleicht schon, dass ich gesetzlich verpflichtet bin, meine Söhne zur Schule zu schicken, weil wir in Deutschland leben und Homeschooling hier verboten ist. Alle Kinder werden hier nach einem Kurrikulum unterrichtet, das ausschließlich mit weißen Kindern im Hinterkopf gestaltet wurde. Ein flüchtiger Blick durch Schulbücher wird stereotype Bilder von Afrikanern zu Tage fördern, viele Bücher lehren, dass „Menschenrassen“ existieren. Die seltenen deutschen Texte, die schwarze Menschen portraitieren, nutzen degradierendes Bildmaterial und Vokabular, um sie zu beschreiben – als ob die schiere Abwesenheit von Bildern mit gesunden, glücklichen schwarzen Kindern nicht schon Beleidigung genug wäre.

Einer meiner Söhne musste in einer Stunde über Evolution erdulden, dass seine Klassenkameraden ihn hänseln: Die prähistorische Frau „sieht genauso aus wie deine Mutter“. Ein anderes meiner Kinder erzählte mir, dass eine Lehrerin das Wort „Negerkuss“ über Tage hinweg benutzt hat. Als ich ihr eine E-Mail deswegen schrieb, nahm sie meinem Sohn das Mobiltelefon weg mit der Begründung, er würde während des Schultages anrufen, um mich zu informieren. Ein Freund meiner Kinder wurde von einem Referendar „Nigger“ genannt. Der Mann leugnete das zunächst, entschuldigte sich aber schließlich, als viele Kinder das bezeugten, für das „Missverständnis“.

Jeden Tag schicke ich meine Kinder mit dem Wissen zur Schule, dass sie auf sich selbst gestellt sind, wenn ein weißer Lehrer rassistische Wörter benutzt. Wenn meine Kinder sich beschweren, werden sie „sensibel“ oder „stur“ genannt. Der Lehrer wird sich immer auf die beeindruckend große Zahl seiner schwarzen Freunde berufen, die beweise, dass er kein Rassist sein könne. Kollegen werden dem Lehrer immer ihre volle Unterstützung geben. Die weißen Mitschüler sehen und zu und lernen die wichtigste Lektion: Wie man die Anliegen schwarzer Kinder ignoriert und kleinredet.

Ich habe es versucht. Wie damals, als einer der Mitschüler meiner Sohne ein Radiergummi auf der Haut meines Sohnes benutzte, um sie wegzuradieren, während im ein anderer Mitschüler gleichzeitig sagte, „Schwarz ist die Farbe des Teufels.“. Da besuchte ich die Schule gemeinsam mit einer weißen Mutter und sprach ruhig über über Stereotypen und Kindergeschichten mit positiven schwarzen Charakteren. Ich arbeite mit den Beauftragten, um die schwarze deutsche Ausstellung „Homestory Deutschland“ nach Berlin zu bringen. Sie stand fünf Wochen lang auf dem Schulgeländer. Ich habe Briefe geschrieben, an Konferenzen teilgenommen, meinen Protest per Mail an gleichgesinnte geschickt und sie aufgefordert, ebenfalls der Schule zu schreiben; und ich war still. Bisher hat nichts davon geholfen. Ich bin beschämt und wütend, dass ich nicht in der Lage bin, meine Kinder davor zu schützen, beleidigt und schikaniert zu werden, sogar an einer Schule, die nach einem der berühmtesten Afrikaner benannt ist und sich selbst mit Stolz „Schule ohne Rassismus“ nennt. Ich kann aber nicht aufgeben. Es gibt weitere schwarze Kinder an dieser Schule genauso wie an vielen anderen Schulen quer durch Deutschland. Sie mögen sogar noch isolierter sein als meine Kinder. In ganz Deutschland finden Kinder ihren Weg, um mit dem – oft subtilen, oft aber auch offensichtlichen aber immer grausamen – Rassismus und Autoritätsgebaren umzugehen, das sie erfahren.

Unsere Kinder sind stärker als wir glauben. Sie überleben ihre eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung. Sie überleben, als Angreifer abgestempelt zu werden, wenn sie aufbegehren. Sie überleben die Erfahrung, ihren Eltern zuzusehen, wie sie leiden und darin versagen, sie zu schützen. Und trotzdem wird von ihnen jeden morgen um 8 Uhr erwartet, dass sie in der Schule erscheinen und funktionieren. Das ist es, was unsere Gesellschaft von ihnen erwartet. „Es braucht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen“ ist kein leeres Motto. Ich schreibe Ihnen allen, um Sie zu bitten: Bitte lassen sie die Erziehung unserer Kinder nicht allein in den Händen des deutschen Schulsystems. Bitte helfen Sie Familien mit schwarzen Kindern ihnen etwas über unsere afrikanische Diaspora beizubringen: unsere Geschichte, unsere Völker, unsere Wirtschaft, unsere Errungenschaften, unsere Kämpfe. Lasst sie uns mit unserem eigenen Lehrmaterialien unterrichten, die schwarze Menschen enthalten – historische Figuren und zeitgenössische Persönlichkeiten genauso wie fiktionale Charaktere. Bitte helfen Sie unseren Kindern, stolz auf sich selbst zu sein. Bitte lasst sie wissen, dass sie unsere Unterstützung haben.

Wo immer negative Bilder schwarzer Menschen gezeigt werden, haben wir die Verpflichtung, unsere Stimme zu erheben. Wir dürfen den Mainstream nicht in der Hand des Mainstreams lassen: Während wir Erwachsenen wählen können, unsere Zeit an sicheren und fördernden Orten zu verbringen, wenn wir das möchten, sind unsere Kinder gezwungen, sich in weißen Institutionen aufzuhalten. Als Aktivist habe ich gelernt, dass Aktivismus nicht nur heißt, gegen etwas zu kämpfen, sondern mit denen, die bereits für sich selbst kämpfen.

Liebe Älteste, lasst uns den Widerstand unserer Kinder unterstützen.

Mit freundlichen Grüßen,

Sharon Dodua Otoo

Vor Kindern Karnickel schlachten

Nicht nur Vegetarismus kommt immer mehr in Mode. Ich beobachte zunehmend, dass Menschen keinerlei Bezug mehr zu dem haben, was sie essen. Fleisch wird als ekelig empfunden, wenn man das Tier noch erkennen kann oder noch Knochen, Sehnen oder gar Adern darin sind. Ansonsten wird Fleisch aber weiterhin mit Genuss verzehrt, solange es in pürierter Form zu Chicken-Nuggets oder Burgern verarbeitet wurde. Aus dieser Fraktion scheinen einige Eltern und Kinder zu kommen, die gerade einen Bohei um einen toten Karnickel machen.

Im Rahmen einer Projektwoche hatte ein Vater das Tier von seinem Hof mitgebracht und vor den Kindern einer fünften Klasse geschlachtet. Später wurde es dann gegrillt und gemeinsam verzehrt. Das ist offenbar dem einen oder anderen Kind nicht gut bekommen: Es wurde von Blässe um die Nase, Schlafstörungen und Ohnmacht berichtet. Heftiger reagierten allerdings einige Eltern, die das ganze „pervers“ fanden. Wer Lehrer in seinem Freundes- und Bekanntenkreis hat, kennt 1000 Geschichten über diesen Typus „hysterische Mutter“.

Nein, liebe bionade-biedermeierlichen Hysteriker, so eine Aktion ist in keiner Weise pervers sondern meiner Meinung nach das beste, was man tun kann, um Kindern in aller Deutlichkeit zu zeigen, dass wir Tiere töten, um sie zu essen. Wenn das die Kinder schockiert und sie dadurch zu Vegetariern werden: nicht die schlechteste Idee. Wenn nicht, haben sie deutlichst gelernt, wo das Fleisch auf ihrem Teller herkommt. Und das ist mir allemal lieber als dieser Ekel vor richtigem Fleisch in Verbindung mit Appetit auf Industrie-Food.

Pervers ist vielmehr, dass wir darüber streiten, ob wir es aus Rücksicht auf Aberglauben muslimischen Mitbürgern erlauben sollten, Tiere qualvoll zu schächten, dass aber auf der anderen Seite unsere Kinder bloß nicht mit der Realität einer Karnickelschlachtung behelligt werden sollen. Beides gleichermaßen Auswuchs einer seltsamen Political Correctness aus der gleichen schwarzgrünen Ecke.

Natürlich bin ich kein Pädagoge, empfinde aber 10 Jahre als durchaus passendes Alter für eine solche Aktion. Sollten Kinder psychisch labil sein und die Schlachtung eines Tieres nicht verkraften, ist es falsch, die Schlachtung pervers zu nennen. Vielmehr sollten wir nach den Ursachen dieser gesteigerten Sensibilität suchen und für eine psychologische Betreuung derart labiler Kinder und ggf. ihrer Eltern sorgen. Ich frage mich eher, warum vergleichbarer Projektunterricht vor allem in urbanen Gegenden nicht längst Bestandteil des Pflichtunterrichts ist.

Jamie Oliver macht das übrigens richtig klasse in folgendem Video. Leider reagieren die Kinder nicht ganz wie erwartet…

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=S9B7im8aQjo[/youtube]

Update: Vergaß, schon der gute alte Douglas Adams hatte sich ja erschöpfend mit dem Thema befasst:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=C1nxaQhsaaw[/youtube]