Jour Fitz (1)

Für diejenigen, die nicht dabei sein konnten, reblogge ich an dieser Stelle mal die Texte, die ich auf der 6. Jour Fitz gelesen habe. Den Anfang machte die

Reppenstedter Eintagsfliege

Die Eintagsfliege hat mitnichten ein kurzes Leben. Ihr selbst erscheint es so lang, wie sie es fühlt: Ein endloses Leben im Licht. Und während sie so summt und fliegt, die kleine Reppenstedterin, radele ich vom Sport nach Hause, stramm zum Gut Schnellenberg; genieße die Sonne, die Luft und dass meine Muskeln sich erst morgen über die zurückliegenden Zumutungen beklagen werden. Unter dem Ich stelle man sich vor: ein gigantisch großes, schweres menschliches Wesen, welches auf seinem treuen Rade “Silbersofa” durch die Landschaft sprengt; ein Wesen, dessen Gewicht und Volumen das der winzigen Fliege millionenfach übersteigt.

Ich radle also, die Nase im Wind, die Glatze in der Sonne, den Blick schweifend über sanft geschwungene Rapsfelder und hinter Sträucher sich duckende Fachwerkhäuschen. Und die Fliege … nun ja fliegt, und zwar (wir können es fast ahnen:) ihre Fühler im Wind, ihre Flügel in der Sonne und in ihren Facettenaugen leuchten geschwungene Rapsfelder und sich unter Gräsern duckendes Eintagsfliegenfutter. Die Fliege und ich: Uns verbindet das unsichtbare Band des Schicksals.

Ich und die Fliege: Wir fliegen und radeln, radeln und fliegen, immer aufeinander zu. Und auf einer Anhöhe kurz vor der Teufelsküche, ja da komme ich doch glatt ein wenig außer Puste, der Steigung wegen; sperre meinen Mund auf und schon ist es geschehen. Die Fliege haucht ihr kurzes Leben aus, ist nun nichts weiter als ein knirschiger Krümel in einer Backentasche. Dort will sie nicht sein und dort will ich sie nicht haben, aber wie abstoßen diesen fremden Organismus? Diese Fliege loszuwerden ist mir so peinlich und so dringend wie dem Mörder seine Leiche. Ich puste und spucke und kaue und rotze, mal links und mal rechts, doch das störende Objekt will nicht weichen. Ich schnappe wie ein Karpfen. So wehrlos die Forelle dem Fliegenfischer ausgeliefert ist, eben so wehrlos zieht mich die Pein wie an der Rute gezogen heimwärts. Ich radle so schnell ich kann, ich strample und sause und darf dabei kaum atmen, damit sich das Malheur nicht wiederhole. Ich werfe das Rad ins Gras, springe in die Wohnung und spüle meinen Mund…

Der Eintagsfliege, der kleinen Reppenstedterin, ist es freilich wesentlich schlechter bekommen als mir. Es war noch lange vor dem Mittag; in der Blüte seiner Jugend musste das Tierchen sein Leben aushauchen. Ein tödlicher, tragischer Verkehrsunfall, den niemand wollte, und jetzt alle schnell vergessen möchten.

Achtbeiner

Seit einigen Tagen lebt eine Spinne auf meinem Fahrrad. Ich habe es längst aufgegeben, das Netz immer wieder zu entfernen. Sollen die Nachbarn doch denken, das Rad stehe da nur zu Dekorationszwecken. Das Netz spannt sich zwischen Lenkstange und Gabel, und die Spinne sitzt bevorzugt auf der Unterseite der Gangschaltung, macht aber bereitwillig Platz, wenn ich schalten will. So begleitet mich das possierliche Tierchen nun auf meinen Wegen und lernt wahrhaft exotische Orte wie den Sand, den Stint oder das rote Feld kennen. Kann eine Spinne kosmopolitischer Leben? Denn im Gegensatz zu ihren seidenspinnenden Schwestern in Auspuffrohren, Flugzeugturbinen und Spaceshuttle-Vakuumschleusen ist sie nicht nur in der Lage, die Reise zu überleben; sie kann sich am Ziel umsehen und neue kulturelle Eindrücke aufnehmen.

* * *

Eigentlich würde ich allzu gerne von weiteren Abenteuern mit dem Rad berichten, doch leider muss ich ehrlich gestehen: Also mit Silbersofa und mir, das ist vorbei. Wir verstehen uns nicht mehr. Es war einfach nicht mehr wie früher. Und Silbersofa hat sich auch verändert. Ist pummelig geworden und kommt nicht mehr recht vom Fleck. Traurig, aber so ist das Leben.

Und was macht man heutzutage, wenn man sich etwas einsam fühlt? Richtig, man meldet sich bei einer Online-Dating-Seite an. Für die jüngeren im Publikum: Online-Dating diente der Partnersuche, bevor es Twitter gab. Ich will mal erzählen, was ich dabei so erlebt habe.

(Fortsetzung folgt…)

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